Freitag, 13. November 2009

Hans Koch
Europa und Asien im Spiegel und Zerrspiegel moderner Wertevorstellungen
Ein Versuch [1]



„Von gut und böse redet niemand mehr, der intellektuell etwas auf sich hält.
Von Werten reden heute alle.
Parteien debattieren über Grundwerte, Verfassungen werden als Wertordnungen verstanden.
Und ob wir in einem Zeitalter des Werteverfalls oder des Wertewandels leben, wird landauf, landab erörtert.
Die Kirchen empfehlen sich der Gesellschaft weniger durch den Anspruch, den Willen Gottes kundzutun und die Auferstehung von den Toten zu bezeugen, als durch das Angebot, die Gesellschaft durch Wertevermittlung zu stabilisieren und der Jugend Wertorientierung zu geben.
Die NATO soll … nicht mehr Territorien, sondern Werte verteidigen. Sie soll die westliche Wertegemeinschaft schützen und neuerdings auch zu deren offensiver Ausbreitung beitragen.
Der Rede von Werten, der Berufung auf Werte haftet eine tiefe Zweideutigkeit an.
Sie ist entweder trivial oder gefährlich.
Oder besser:
sie ist trivial und gefährlich zugleich - und gefährlich ist sie wegen ihrer Zweideutigkeit.“  [2]

Beginnen müssen wir mit dem Einfachsten: der Erklärung, was Werte oder Wertevorstellungen sind. Dabei werden wir so tun, als wüssten wir bereits über Werte Bescheid. Dann wenden wir uns den Begriffen „Europa“ und „Asien“ zu. Wir werden keine theatralischen oder hochwissenschaftlichen Definitionen [3] sondern eher pragmatische Erklärungen suchen und dabei in den Spiegel und Zerrspiegel von Wertevorstellungen blicken. Verschiedene Werte und ihre Verkünder werden wir Revue passieren lassen, auch auf die Gefahr hin, gegen gebräuchliche Wertevorstellungen noch selbst zu polemisieren.
Danach versuchen wir, einen Gesamtkommentar abzugeben.
Und zum Abschluss unseres Versuches werden wir – etwas spitzfindig – zwei Fragen beantworten, die unserer Meinung nach die Geisteshaltung für Europa und für Asien beleuchten:
Für Europa fragen wir aus der Sicht des christlichen Abendlandes:  Weshalb hat Gott nicht mehr als sieben Tage für die Erschaffung der Welt aufgewandt?
Für Asien fragen wir aus der Sicht der tibetischen Kultur: Was müssen wir tun, damit der kleine Wassertropfen nicht austrocknet?

***
Vereinfacht gesprochen sind Werte entweder der Wert an sich, etwas ist ein Wert, ein Maß, eine physikalische, eine andere Größe, eine ökonomische Größe wie beispielsweise der Wert der Ware Arbeitskraft oder etwas hat einen Wert z. B. für die menschliche Existenz oder das Fortbestehen einer menschlichen Gesellschaft, es ist wertvoll, unabdingbar.
Wir werden uns festlegen und nur mit Werten oder Wertvorstellungen beschäftigen, die die menschliche also unsere Gesellschaft betreffen und sie charakterisieren. Dabei denken wir grundsätzlich daran, dass sich menschliche Gesellschaften entwickeln, verändern, untergehen und wieder aufblühen können, was sich zweifellos auch in der Deutung und im Wandel von Wertevorstellungen widerspiegeln wird. Wir werden uns dennoch nicht in die transzendente Welt der moralisierenden Wertevorstellung oder gar zur Wertephilosophie, der Axiologie, begeben. Wir möchten verständlich und berechenbar bleiben, und wir fragen deshalb gemäß unserem Thema zuerst nach Europa und Asien.

Eigentlich scheint es viel einfacher zu sein, die Frage nach den Werten für die Gesellschaft der USA zu stellen und zu beantworten. Spontan fallen uns die Werte „Freiheit“ und „American Way of Life“ ein. Die Frage, ob sie allerdings die typischen Werte für die jetzigen USA sind, versetzt uns in Nachdenklichkeit.

Viel schwieriger ist es, wenn nicht sogar unmöglich, die wichtigsten Wertevorstellungen für Europa und auch für Asien einfach zu nennen. Mit Sicherheit fühlen wir vorab eine gewisse unüberbrückbare Unvollständigkeit und ein Chaos in unseren eigenen Vorstellungen.

Europa.
Wir betrachten das geografische Europa. Und wir beleuchten die nunmehr große Europäische Union, das moderne Deutschland und etwas am Rande das große Russland, das geografisch zu Europa und zufällig auch zu Asien, zumindest dem geografischen, gehört.

Asien.
Je weiter wir von Westen nach Osten kommen, umso schwieriger wird unser Thema. Deshalb verwenden wir Asien lediglich als groben geografischen Begriff, wir werden nicht unterscheiden nach historisch bedingten religiösen Gliederungen, nicht nach Wirtschaftszonen oder politischen Kategorien. Wir werden nur einige Länder Asiens bei unserer Wertebetrachtung und unseren Erklärungen mit einbeziehen und deshalb hinsichtlich Vollständigkeit um Nachsicht bitten.

Beginnen wir, mit Europa.
„Was hält die Europäische Union (EU), einen Staatenbund von 27 vielfältigen Ländern, im Kern zusammen?
Es sind vor allem gemeinsame Werte, die wir alle teilen - Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte. Werte, die vor allem durch das Christentum und die Aufklärung geprägt worden sind.
Dieses gemeinsame Verständnis ist auf unserem Kontinent über Jahrhunderte gewachsen. In Europa stand die Wiege der Demokratie. Unser Wertefundament gibt uns die Kraft, im Bewusstsein unserer Vielfalt und unserer reichen kulturellen Traditionen mit einer Stimme zu sprechen und die globalen Herausforderungen gemeinsam anzunehmen.“  [4]


Die Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte sind durch die Aufklärung geprägt. Der Hinweis auf das Christentum ist deplaciert. Letztlich formulierte Immanuel Kant:

„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ [5]

Und meinte damit auch, dass das Denken von jeder Dogmatik zu befreien sei. Man kann nicht Aufklärung und Christentum gleichzeitig als werteprägend bezeichnen, wenn die Aufklärung im Wesentlichen gegen religiöses Dogma gerichtet und im Allgemeinen auch atheistisch war. Und für ein modernes Europa nur auf das Christentum zu verweisen bedeutet, dass die Tatsachen verkannt werden, denn im europäischen Haus wohnen nicht nur Christen. Dennoch tragen alle Hausbewohner zu den europäischen Werten bei.

Der von der Renaissance übernommene und weiterentwickelte Begriff des Humanismus entspricht in seiner Formulierung in der berühmten französischen Enzyklopädie dem Sinn der Aufklärung:

„Menschlichkeit… Das ist ein Gefühl des Wohlwollens für alle Menschen, das nur in einer großen und freien Seele aufflammt. Diese edle und erhabene Begeisterung kümmert sich um die Leiden der anderen und um das Bedürfnis, sie zu lindern; sie möchte die ganze Welt durcheilen, um die Sklaverei, den Aberglauben, das Laster und das Unglück abzuschaffen. Sie verbirgt uns die Schwächen unserer Mitmenschen oder hindert uns, diese Schwächen zu fühlen, macht uns aber unerbittlich gegenüber Verbrechen. Sie entreißt dem Schurken die Waffe, die dem guten Menschen zum Verhängnis werden könnte. Sie verleitet uns nicht, uns der besonderen Pflichten zu entledigen, sondern macht uns – im Gegenteil – zu besseren Freunden, besseren Gatten, besseren Staatsbürgern. Es macht ihr Freude, die Wohltätigkeit auf alle Wesen auszudehnen, die die Natur neben uns gestellt hat…“ [6]

„Die europäische Aufklärung ist vor allem gekennzeichnet durch:
  • rationale Klarheit über die Zusammenhänge der wirklichen Welt mittels der menschlichen Vernunft
  • kritische und skeptische Schärfe ohne Tabus und Vorurteile
  • empirische Breite und konsequente Nutzung der Wissenschaft
  • sittliches Handeln (Mensch von Natur ist gut und kann sich ständig vervollkommnen), das zu Fortschrittsoptimismus führt
  • Toleranz als universelles Denk- und Verhaltensprinzip
  • Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und individuelle Freiheiten
In Bezug auf die Religion, die von den christlichen Kirchen vertreten wird, folgt daraus:
  • Abwertung des Autoritätsglauben, des religiösen Dogmatismus und des Aberglaubens
  • Entwicklung eines natürlichen Vernunftglaubens zwischen Pantheismus, Deismus und Atheismus
  • Herausbildung einer kosmopolitischen Sichtweise, die auch zu neuen gesellschaftspolitischen Konsequenzen führt
  • grundsätzliche Kritik an der Institution Kirche und eine philosophisch begründete Religionskritik.“ [7] 



„Gibt es überhaupt gemeinsame europäische Werte? Ist Europa eine Wertegemeinschaft?“
„ Dies waren die Fragen, die Stoiber |ehemal. Ministerpräsident des Freistaates Bayern – Hans Koch| zu Beginn seines Vortrages stellte, um aufbauend auf diesen das gemeinsame geistige und kulturelle Erbe Europas zu beleuchten. Antike, Humanismus und Aufklärung bezeichnete er als prägende Phasen für europäisches Denken und Handeln. Höchste europäische Werte – wie Einzigartigkeit und Würde jedes Menschen, das Bekenntnis zur Freiheit und Nächstenliebe – seien nachhaltig vom Christentum geprägt.“ [8]

Wir können Herrn Stoiber den christlichen Ansatz nicht verübeln, doch mit europäischen Werten dürfte er nichts zu tun haben. Die Einzigartigkeit und Würde des Menschen aus seiner göttlichen Schöpfung ableiten zu wollen ist nicht nur dogmatisch sondern schließt alle, die nicht an diesen Gott glauben, von dieser Einzigartigkeit und Würde aus. Selbst der Ruhm der antiken sprich: griechischen Sklavenhalterdemokratie ist längst verblasst. Die jetzigen bürgerlichen Demokratien sind fortschrittlicher.

„ Der moderne laizistische Staat hielt die religiöse Toleranz einschließlich des Respekts vor dem Nichtglauben bislang für eine seiner herausragenden Tugenden. Der immer schwelende Kopftuch-Streit wurde nicht nur in Frankreich zum Anlass, diese Tugend einzufordern. Vor der religiösen Erziehung steht die Entscheidung der Eltern respektive des Schülers, sich freiwillig oder gar nicht in die religiösen Anfangsgründe einweisen zu lassen.“  [9]

Noch vor drei Jahren wurde deshalb in Deutschland diskutiert:

„Nun soll das Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Schulgesetz NRW –SchulG) vom 11. Februar 2005 (GV. NRW. S. 1029) nach dem Referentenentwurf der Landesregierung NRW wie folgt geändert werden:
Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung.
"Ehrfurcht vor Gott" steht auf der neuen Prioritätenskala der Schulerziehung also ganz vorn, so wenig sich die religiöse Semantik selbst dem Frömmsten leicht erschließen dürfte. Um welchen Gott handelt es sich überhaupt, der da mit diversen säkularen Tugenden eingeschmuggelt wird? Es klingt nach einem ökumenisch windigen Formelkompromiss, den sich Pontius Pilatus ausgedacht haben könnte, wenn man in Zeiten konkurrierender Religionen eine eindeutige Zuordnung vermissen lässt. Und weiter: Kann ein persönlicher Gott überhaupt auf den Leisten eines Curriculums geschlagen werden? Was heißt überdies Ehrfurcht und wie wird sie überprüfbar von den Zöglingen eingefordert? Gottlose Lehrer unterfallen dann demnächst auf untergeordneten Regelungsebenen einem "Atheisten-Erlass". Bekennende Zweifler und Nichtgläubige unter den Schülern verfehlen das Klassenziel. Denn es geht ja in beiden Fällen nicht um ein marginales Versagen, sondern um das "vornehmste" Erziehungsziel. Vielleicht hilft solchen gefallenen Seelen dann nur noch die "Duldsamkeit" des Referentenentwurfs, die den strapazierten Begriff der "Toleranz" wohl durch seine demütigere, christliche Begriffsvariante ersetzen soll.“ [10]

Das Zusammenleben in Deutschland und in Europa würde leichter, wenn man toleranter denken würde. Neben dem Gläubigen gibt es nicht den Nicht- oder Un-Gläubigen sondern den Anders-Gläubigen. Selbst den Atheisten könnte man zu den Anders-Gläubigen zählen, da er daran glaubt, dass er nicht glaubt. Und zum toleranteren Denken gehört auch, dass man nicht nur um die Feier- und Hochtage der Anders-Gläubigen weiß sondern sie mit ihnen gemeinsam begeht.
Kritisch muss man Kommentatoren betrachten, die nur sich selbst sehen und dabei vom deutschen Rechtswissenschaftler zum selbsternannten Historiker werden:
"Wir Deutschen haben auf der Grundlage der europäischen Zivilisation im Laufe der Geschichte unsere nationale Identität und Kultur entwickelt, die sich in unserer Sprache und in Künsten, in unseren Sitten und Gebräuchen, in unserem Verständnis von Recht und Demokratie, von Freiheit und Bürgerpflicht niederschlägt. Deutschland gehört zur Wertegemeinschaft des christlichen Abendlandes. Wir sind Teil der europäischen Kulturgemeinschaft." [11]
Was diese Wertegemeinschaft wirklich ist, wurde in der Financial Times bereits 2001 vom gleichen Autor beschrieben:
"Deutschland braucht jetzt eine Phase echten Kapitalismus. Ein Jahrzehnt lang muss die Wirtschaft ungehemmt wachsen können. Unternehmen müssen Gewinne einfahren. Die Macht der Gewerkschaften sollte gebrochen werden, vor allem durch die Einschränkung von Kündigungsschutz und Mitbestimmung. Ein Jahrzehnt lang muss zuerst daran gedacht werden, wie man das Volksvermögen am schnellsten steigern kann. Die Verteilungsdebatte sollte in den Hintergrund treten - 30 Jahre sind erst einmal genug. Gebraucht wird eine Portion Thatcherismus. Maggie Thatcher war zwar nicht die angenehmste Figur der Wirtschaftsgeschichte, doch sie war notwendig. Einmal alle 50 Jahre braucht jede Industrienation eine Maggie Thatcher. Ob die Deutschen noch wissen, was echter Kapitalismus ist, also die Lust, durch eigene Arbeit reich zu werden? Auch wenn es viele Leistungswillige gibt, ein Masseneffekt ist das heute nicht mehr. Geprägt wird das Land durch das Ausruhen auf alten Erfolgen und das Zufriedengeben mit dem Erreichten. Nach dem Fall der Mauer brach im Osten Deutschlands für eine Weile echter Kapitalismus aus. Menschen machten mit Begeisterung Läden auf und gründeten Firmen. Auf den Parkplätzen an den Autobahnen schossen Imbisse hervor. Dann kamen die Westdeutschen und erstickten den Trend mit ihren Gesetzen und Gewerbeordnungen. Begeisterten Kapitalismus findet man heute fast nur noch in Osteuropa und in den USA. Wer sieht, wie leidenschaftlich koreanische Einwandererfamilien in New York ihre Geschäfte betreiben, begreift an einem simplen Beispiel, wie gesellschaftlicher Reichtum entsteht. Der Leistungswille des Einzelnen heizt den Wohlstand der Gemeinschaft an. Nicht reich werden zu wollen, ist unsozial. " [12]






Obwohl man hinsichtlich statistischer Erhebungen und Meinungsumfragen generell vorsichtig sein sollte, werden wir dennoch auf die Herbstumfrage 2006 des Eurobarometers zu Persönlichen und Europäischen Werten verweisen, weil sich ihre Ergebnisse von denjenigen europäischen Werten unterscheiden, die uns die Politik für Europa vorschreibt und die wir bereits zitiert haben. [13]


Die Spitzenplätze belegen „Frieden“ und „Menschenrechte“ gefolgt von „Demokratie“, „Achtung menschlichen Lebens“, „Gleichheit“, „Rolle des Gesetzes“, „Toleranz“, „Solidarität“, „Achtung anderer Kulturen“. Und auf dem letzten 12. Platz liegt die „Religion“.
Aus unserer Sicht wirft diese Umfrage ein verständlicheres Bild auf die Werte, die für das Funktionieren Europas wichtig sind. Es erstaunt nicht, dass die Politiker die wichtige Wertvorstellung „Frieden“ übersehen haben. Sie stufen den Krieg nicht als Krankheit ein, wie es der Theologe Drewermann [14] tut. Wie im Falle des Afghanistaneinsatzes der deutschen Bundeswehr vertuscht der ehemal. Bundesminister der Verteidigung Jung sogar, dass es sich überhaupt um einen Krieg handelt, obwohl das Völkerrecht eindeutig von Krieg spricht. [15] Wenn man nichts von Krieg erfährt, kann man nicht für Frieden eintreten und damit dem lebenswichtigen Wert „Frieden“ helfen, das System „Europa“ zu erhalten und zu stärken. Neben der Demagogie wird erkennbar, dass es der Politik in ihrer Substanz nicht daran gelegen ist, den Frieden zu erhalten. Denn der Wert „Frieden“ bedeutet auch, die Welt friedlicher zu machen – durch Ächtung der Atom- und Wasserstoffbombe, der chemischen, biologischen und anderen Massenvernichtungswaffen, durch Ächtung des Krieges und des Terrors, durch Ächtung von Gewalt. Nur so kann man in einem Haus wohnen, einem europäischen, einem asiatischen oder sonst wo auf unserer Erde in einem irdischen Haus.

Aus unserer Sicht haben die Bürger den Stellenwert der „Menschenrechte“ erkannt, denn sie tangieren ihr tägliches Leben. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte [16] mit ihren 30 Artikeln gehört zu den Glanzleistungen der Völkergemeinschaft im 20. Jahrhundert.

Und wenn bei dieser Umfrage festgestellt wurde, dass man der „Toleranz“ und der „Achtung anderer Kulturen“ Priorität als Wertvorstellung einräumt, so scheint die Entwicklung der europäischen Bürger weiter als die ihrer Regierungen zu sein.


Wie bereits formuliert, wird die Problematik komplizierter, je weiter wir Richtung Osten kommen.
Verweilen wir noch einen Moment in Rußland, einem Reich, dass im Jahre 1990 mehrere Zusammen- und Einbrüche erlebte. Mit dem Verschwinden der Sowjetunion verschwand ein Wertesystem, eine Art Vakuum entstand, das sich mit Verschiedenem, teilweise Widersprüchlichem und Antiquiertem, allmählich füllt.


„In diesem Jahr |2006 – Hans Koch| übernimmt Rußland – neben G 8 – auch im Europarat den Vorsitz. Deshalb ist zu fragen, wie es Rußland mit den europäischen Werten hält, zu denen es sich in seinen Verträgen mit der EU bekennt. In der „Road map for the common space of freedom, security and justice”, auf die sich die Europäische Union und Rußland auf ihrem Gipfel in Moskau am 10. Mai 2005 geeinigt hatten, werden die gemeinsamen Werte als Demokratie, Herrschaft des Rechts und unabhängige Rechtsprechung definiert. Zur Respektierung dieser Werte, vor allem zur Achtung der Menschenrechte, hatte sich Rußland bereits durch seinen Beitritt zum Europarat 1996 verpflichtet. In seiner letzten Botschaft an die Föderalversammlung bestätigte der russische Präsident Wladimir Putin am 25. April vergangenen Jahres |also 2005 – Hans Koch |, daß die Beziehungen zwischen der EU und Rußland auf gemeinsamen Werten basieren einschließlich des Respekts für Menschenrechte und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft.
Das Problem, das wir in letzter Zeit mit Rußland haben, besteht nicht darin, daß Rußland diese gemeinsamen Werte nicht anerkennt oder sich von der Anerkennung dieser Werte wieder losgesagt hat oder diese Werte in Wirklichkeit nicht respektieren will, sondern daß es diese Werte offensichtlich anders versteht. Die Distanz zwischen der Europäischen Union und Rußland in der unterschiedlichen Interpretation der gemeinsamen Werte ist inzwischen so groß, daß der Eindruck einer faktischen Absage Rußlands an diese europäischen Werte entsteht.“ [17]

Wenn die russländische Regierung die „europäischen Werte“ anders versteht, so mag es nicht nur an der Regierung Rußlands selbst liegen. Solange das europäische Wertesystem nicht durchweg klar und logisch ist und die allgemeingültigen völkerrechtlichen Werte mit einschließt, kann man nichts anderes als Missverständnisse erwarten. Keiner anderen Regierung gefällt es, durch „europäische Werte“ in irgendeiner Form bevormundet zu werden, erst recht nicht der russländischen.

Hinzu kommen noch völlig andere Aspekte, das geistige und öffentliche Leben Rußlands betreffend. Die Russisch-Orthodoxe Kirche errichtet ein neues Wertgebäude, so als hätte es nie eine Aufklärung gegeben, aber auch so, als sei man noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen und fände man nie eine gemeinsame Sprache:


„Die Menschenrechte dürfen kein Grund sein, um die Christen zur Verletzung der Gebote Gottes zu zwingen. Die Orthodoxe Kirche hält die Versuche für unzulässig, die Sichtweise der Gläubigen auf den Menschen, die Familie, das öffentliche Leben und die kirchliche Praxis dem areligiösen Verständnis der Menschenrechte unterzuordnen. “ [18]

Fehlende Wertevorstellungen zeigen sich zuerst bei der russischen Jugend, die auch ein Opfer staatlich vorgeschriebener Bildung und Erziehung und ungeregelter gesellschaftlicher Zustände ist:
„Dass die zahlreichen Überfälle auf Farbige, hierunter afrikanische und asiatische Studenten, die oft mit deren Tod enden, einen tiefer liegenden Rassismus offenbaren, wird von den Medien ignoriert. Auch die Politiker belassen es bei verbalen Empörungen. Es wird verharmlost, dass neonazistische Gruppen auf Moskauer und Petersburger Straßen mit dem Nazigruß im Gleichschritt marschieren und dabei „unser genetisches Kapital“ und „unser großes Russland“ beschwören…
In der Literaturnaja Gazeta schreibt der Soziologe Leonid Byzhow |oberflächlich – Hans Koch|, das Hakenkreuz herumzutragen oder „Mein Kampf“ zu lesen, habe keine Bedeutung. „Besser sich für irgendetwas zu interessieren und an irgendetwas zu glauben als an nichts zu glauben und sich für nichts zu interessieren.““ [19]

Und allgemeiner läßt sich feststellen:

„Der Verlust des Imperiums | der UdSSR – Hans Koch |, den weite Kreise der Bevölkerung mit Bitterkeit empfinden, macht es den Propagandisten eines ethnischen Nationalismus und hiermit verbundener spezifisch russischer Wertvorstellungen äußerst leicht. Die „russische Idee“ ist dem moralisch diffusen Liberalismus des Westens überlegen…
Der Ruf nach den in russischen Traditionen verankerten Normen kann freilich kaum vertuschen, dass der Grund hierfür in dem Mangel an neuen Wertvorstellungen zu suchen ist. Allein auf der Grundlage der zunehmenden antiwestlichen Stimmung, dem flagranten Anti-Amerikanismus, kurz, einem nationalen Isolationismus und nach außen gekehrten Petro-Imperialismus lässt sich kein solides Staatswesen aufbauen, nach dem sich alle Russen sehnen, geschweige denn ein demokratisches, rechtsstaatliches System etablieren.“ [20]





Blicken wir nun nach Asien.

„Asiens wirtschaftlicher und politischer Aufstieg zeigt Globalisierung wie in einem Brennglas – mit ihren Chancen, Herausforderungen und Folgen. Noch in diesem Jahrzehnt wird die chinesische Volkswirtschaft die deutsche überflügelt haben. Und 2040 werden drei der fünf weltweit größten Ökonomien – China, Indien und Japan – aus Asien stammen …
Den großen Chancen der Globalisierung stehen damit politische Risiken und potenzielle ökologische Folgelasten gegenüber, denen wir vorbeugen müssen. Vorausschauende Außenpolitik, …, ist dazu imstande. Sie setzt auf Dialog und die gestaltende Kraft der Zusammenarbeit.“ [21]

Den heutigen Möglichkeiten der Globalisierung stehen die Unmöglichkeiten und Schwierigkeiten der Vergangenheit gegenüber. Ein Ausflug in die Geschichte Chinas, Indiens und Japans bringt uns wenig Konkretes und mitunter wenig Verständliches. Im bevölkerungsreichsten Land Asiens, in China, geht das Suchen nach dem Wert Menschlichkeit mit dem Gedankengut Konfuzius´ konform und auch nicht konform.

„Konfuzius ist kein abstrakter Denker, der die Welt scharfsinnig mit Analysen seziert. Im Zentrum seines Denkens steht der Mensch und die Frage, wie er durch konkretes Handeln im Alltag dem näherkommt, was sein innerstes Wesen darstellt. Er stellte als erster die goldene Regel auf: was man sich selbst nicht wünscht, das tue man anderen nicht an. Keiner ist allein auf der Welt. Was beim Einzelnen beginnt führt automatisch zur Gemeinschaft. Man darf sich nicht zurückziehen, sondern trägt Verantwortung für das Ganze. Dieses Setzen auf den Menschen und die Menschlichkeit ist ein revolutionäres Konzept. Konfuzius leugnete nicht, dass die Menschen religiöse und metaphysische Bedürfnisse haben. Er hat jedoch gewagt, die Religion aus dem Zentrum zu verdrängen und den Menschen an ihren Platz zu stellen. Ähnliches geschah nach der Antike im Westen erst wieder in der Aufklärung.“ [22]

Doch politischer Kult, Machtkampf und Verbrechen, kulminierend in Langer Marsch, Großer Sprung und Kulturrevolution, die selbst die Werte der Familienbande untergrub, zeigen nicht nur die Widersprüche sondern auch das Abweichen von Konfuzius.

Mao Tse Tung im November 1957 in Moskau:
 „Lasst uns abwägen, wie viele Menschen sterben würden, wenn ein Krieg |gemeint Atomkrieg – Hans Koch| ausbräche. Die Weltbevölkerung zählt 2,7 Milliarden Menschen.  Ein Drittel davon könnte sterben; oder ein bisschen mehr, es könnte auch die Hälfte sein… Im schlimmsten Fall stirbt die Hälfte, und die andere Hälfte überlebt, aber der Imperialismus würde ausgelöscht, und die ganze Welt würde sozialistisch.“ [23]
Damals wurde nicht diskutiert. Heute stehen wir überall vor der Möglichkeit des Dialoges. Nicht nur gegenseitiger Respekt sind angebracht sondern auch das Verstehen der anderen Argumente. Deshalb ist es nicht abwegig anzunehmen, dass Bevormundungen inakzeptabel sind. So erscheint die Meinung des ehemal. chinesischen Botschafters auf der Frankfurter Buchmesse 2009 in einem anderen Licht:

„Ich habe große Achtung vor Deutschland und den Deutschen, aber ich muss feststellen, dass man hier von Demokratie spricht, aber in der Praxis eigentlich diktiert.“ [24]

Und es ist nicht ungewöhnlich, dass bei Diskussionen um Menschenrechte von chinesischer Seite häufig auf die Einhaltung des Artikels 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte [25], der das Recht auf Nahrung einschließt, verwiesen wird; letztlich stellt die Sicherstellung der Ernährung des bevölkerungsreichsten Landes kein geringes Problem dar, auch wenn oder gerade weil die Hälfte der Bevölkerung einfache Bauern sind.






Hier schließt sich ein Blick nach Indien an, bevölkerungsreich, kastenstrukturiert, in religiöser Vielfalt, kulturreich und von Widersprüchen geschüttelt. Rabindranat Thakur (Tagore) und „Mahatma“ Gandhi prägten das geistige und politische Leben im letzten Jahrhundert, Nehru und Indira Gandhi eingeschlossen.

„Indien verfügt als weltweit anerkannte liberale Demokratie mit einer grossen
Menschenrechtstradition und einer unabhängigen Justiz über alle Voraussetzungen, als
überzeugendes Modell für andere Länder zu dienen. Es spielt eine wichtige Rolle im Uno-
Menschenrechtsrat … “ [26]

„Der Zusammenhang von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit, religiöser Toleranz, Gleichheit der Frau und der Anti-Kasten-Bewegung führt in Indien zu mehr Menschenwürde für alle. Wir übersehen natürlich nicht, dass es in dieser Hinsicht in Indien - wie in vielen anderen Ländern - weiterhin viel zu tun gibt.
In Indien verbindet sich säkularer Humanismus mit der Gestaltung gewaltfreier sozialer Beziehungen, einem ausgewogenen Verhältnis mit der Natur, Garantien für Essen für die Hungernden, der Gleichberechtigung, der Erziehung und wissenschaftlichen Aufklärung gegen Aberglauben. Weitere Aspekte sind der Kampf gegen das Kastensystem und gegen die Kommunalisierung sowie für den säkularen Staat und für soziale Reformen.“ [27]

„Im indischen Denken werden fünf Freiheiten genannt (Freiheit von Gewalt, von Not, von
Ausbeutung, von Entehrung, von verfrühtem Tod, von Krankheit |es sind jedoch sechs Freiheiten benannt – Hans Koch|), zu denen fünf Tugenden treten (Toleranz, Gemeinschaftsgefühl, Wissen, Freiheit des Gewissens und der Gedanken, Freiheit von Furcht).“ [28]

Ob diese fünf Freiheiten und fünf Tugenden die Mehrheit der in Armut lebenden und um ihre Existenz kämpfenden Bevölkerung überhaupt erreichen, können wir hier nicht untersuchen.






Japan. Das am weitesten von Europa entfernte Japan wurde in der Vergangenheit betrachtet, indem in die europäische Vorstellungswelt das unvollständige und meistens nicht erforschte japanische Bild eingefügt wurde. Selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte noch diese Reisephilosophie das europäische Denken.

„Zwei Grundgefühle dürfen nie zersetzt werden, wenn Japan nicht zugrunde gehen soll: das eine ist sein Naturgefühl, das andere sein spezifischer Patriotismus …
Das Naturgefühl des Japaners entspricht dem Weltgefühl des Inders und dem Harmoniebewußtsein des Chinesen; es ist die gleiche Synthese en miniature, hat den gleichen tiefen Grund. Entschwände sie nun seinem Bewußtsein, so verlöre er eben damit den Zusammenhang mit seinem tiefsten Selbst. Alles, wodurch er das Ursprüngliche zu ersetzen versuchen wollte, wird eine Oberflächenerrungenschaft bleiben, ohne unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Seele. Ein Inder versuche sich zum Griechen umzuwandeln: er würde dadurch sicherlich flach; nicht deshalb, weil seine ursprüngliche Art , den Menschen als Teil der Natur zu sehen, gegenüber der hellenischen, welcher diese ein Äußerlich-Bildhaftes bleibt, die objektiv tiefere ist, sondern weil er die griechische Weltanschauung auf sein Tiefstes zu beziehen außerstande wäre. Beim Japaner ist die gleiche typische Gefahr bedeutend größer, weil sein Gesichtskreis viel beschränkter ist, weil ungleich weniger Phänomene einer Verknüpfung mit seiner Seele fähig sind. So würde der Naturalismus die japanische Kunst nicht allein herunterbringen, wie bei uns, sondern buchstäblich töten, so macht Unhöflichkeit den Japaner nicht bloß unangenehm, wie jeden anderen, sondern flach. Pflegt also Japan sein Naturgefühl nicht desto mehr, je intensiver es uns in anderen Hinsichten nacheifert, so kann es geschehen, dass sich sein Organismus eines Tages entseelt befindet.“ [29]

Dieser Art von Tiefenpsychologie möchten wir nichts weiter hinzufügen.


„Das andere Gefühl, das Japan um keinen Preis verlieren darf, ist seine Vaterlandsliebe; die eigentümliche, in Europa ausgestorbene, nur in Kriegszeiten kurzfristig wiederauflebende Gefühlssynthese zwischen Individuum, Gruppe, Heimat und Herrscherhaus. Die Japaner sind noch nicht Individuen in unserem Sinne; ihr Zentrum ruht in der Gruppe;
daher wird ihnen Verwestlichung zunächst nur so lange frommen |nutzen – Hans Koch|, als die neue Organisation auf die alte Basis bezogen werden kann.“ [30]

Dieses Gruppengefühl führte im 2. Weltkrieg zur Hingebung an den göttlichen Tenno und zur extremen selbstzerstörerischen Demut der Kamikadzeflieger. Dahinter verbargen sich die alten Werte „Sonne“ und „Stahl“, Werte der reaktionären Vergangenheit des Landes.

„ Die Sonne mit ihrem niemals endenden Licht und ihrer Wärme, steht für die erhabene Göttin Amaterasu. Sie ist ein Shintō-Symbol und verkörpert auch Japan. Sie ist überdies die Ahnherrin der japanischen Kaiser (laut Mythos). Damit sind die Kaiser Nachfahren der Göttin und selbst Halbgötter.
Der Stahl ist das Symbol für das physische Training, das den Körper formt und ihm die nötige Kraft gibt. ... Stahl steht aber auch für das Instrument, das den Tod bringt – das Schwert!“ [31]

Das moderne Japan stellt sich den modernen Werten. Wir zitieren den ehemal. japanischen Außenminister:
„Asien ist eine Region, die durch eine große ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt sowie durch zahlreiche unterschiedliche politische Systeme, gesellschaftliche Strukturen und Werte geprägt ist, die alle nebeneinander existieren. Asien, eine Region mit einer noch größeren Vielfalt als das bereits sehr vielfältige Europa verfügt jedoch nicht über „die asiatische Institution“, die mit der EU, der NATO oder der OSZE vergleichbar wäre…. Im letzten November |2007-Hans Koch| wurde unter der fähigen Leitung Singapurs, das den ASEAN-Vorsitz führte, die ASEAN-Charta verabschiedet. Japan begrüßt die Verabschiedung dieser Charta nachdrücklich als eine Demonstration des Willens der Mitgliedsstaaten zur weiteren Integration der ASEAN. Universelle Werte wie grundlegende Freiheiten, Demokratie, Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit sind in der ASEAN-Charta aufgeführt. Diese Werte werden durch wirtschaftlichen Wohlstand verwirklicht, der zur Bildung einer Mittelschicht führt, die in der Lage ist, als Träger eines freien und demokratischen Systems zu fungieren. Aus diesem Grund unterstützt Japan weiterhin die Entwicklung anderer asiatischer Staaten, wobei es seine eigenen Erfahrungen und sein Wissen, die es sich im Verlauf seiner langen Geschichte als Demokratie und Marktwirtschaft angeeignet hat, nutzt.“ [32]

„Aufgrund | des erhöhten Leistungsdruckes – Hans Koch |… und der erhöhten Gewaltbereitschaft der Schüler in Japan wurde das „Kokoro no Kyoiku“ eingeführt. Dies bedeutet übersetzt „Die Erziehung des Herzens“. Es wird vom japanischen Staat kräftig unterstützt.
Es soll den Kindern Werte vermitteln, die dem Wandel der Zeit nicht unterliegen wie z.B.: Menschlichkeit, Sinn für Gerechtigkeit und Recht, Selbstbeherrschung, Zusammenarbeit mit anderen, Rücksichtnahme, respektieren der Menschenrechte sowie Liebe zur Natur…“ [33]

„Die EU und Japan einen solch grundlegende Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie das System der Marktwirtschaft.“ [34]






Wie bereits bemerkt, werden politische Gefechte um Werte von Vertretern kleinerer Staaten bzw. Stadtstaaten geführt, die meistens eine englische Kolonialvergangenheit aufweisen, und die nicht Gemeinsamkeiten sondern seit 1989 [35] Differenzen und den eigenen Vorteil in den Vordergrund stellten. Der extrem von Lee Kuan Yew (Singapur 1996) und Mahathir Mohamed (Malaysia 1995) formulierte und verstandene Asianismus kulminiert in den Thesen:
„Der Westen ist dekadent.
Der Westen ist arrogant.
Der Westen hat eine doppelte Moral.
Demokratie gegen Entwicklung.“ [36]

„In Anlehnung an das „Singapur Modell“ werden in der Regel folgende vier Grundwerte als asiatische Werte genannt: 1. Vorrang der Gemeinschaft vor Individualinteresse; 2. Bewahrung der Familie als Grundelement der Gesellschaft; 3. Vorrang von konsensorientierten (vor konfliktorientierten) Lösungsstrategien; 4. Toleranz und Harmonie zwischen Religionen und Rassen. Die Debatte über deren Stellenwert ist sowohl im Westen als auch in der Region selbst kontrovers verlaufen. Während einige Befürworter „asiatischer“ Werte diese „westlichen“ gegenüber als überlegen und im Aufwind betrachten, meinen andere lediglich, daß „Asien“ auf dem Wege zur Modernisierung nicht blind westlichen Leitideen, sondern eigenen politischen Vorstellungen folgen sollte. Andere und eher kritische Stimmen halten die Debatte um „asiatische Werte“ für ein Tarnmanöver, um von Demokratiedefiziten und Menschenrechtsverletzungen abzulenken; andere wiederum meinen, derartigen Werten sei nichts spezifisch Asiatisches eigen; schließlich wird auch argumentiert, daß es in einer globalisierten Welt keinen Sinn mache, zwischen „asiatischen“ und „westlichen“ Werten zu unterscheiden.“ [37]




Versuchen wir eine Zusammenfassung, einen Gesamtkommentar zu formulieren [38] . Mit den von uns betrachteten Werten wie Menschlichkeit, Menschenrechte, Achtung des Lebens, Frieden, Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit, Toleranz, Achtung anderer Kulturen haben wir uns nicht eingeschränkt, sondern jene Werte betrachtet, die für das Zusammenleben der Menschen innerhalb eines Staates, eines Staatenbundes und innerhalb der Völkergemeinschaft lebensnotwendig sind. Wir setzen dabei den unerlässlichen und kostenfreien Zugang zu moderner Bildung voraus. Wir hoffen dabei auf die Nutzung der Globalisierung, sich für andere Länder und Kulturen zu interessieren, Sprache und Eigenheiten dieser Länder zu studieren und dort – zumindest zeitweise – leben zu wollen. Wir gehen von der prinzipiellen Chance eines Zusammenlebens auf Dauer aus, wenn nicht nur weitere und bessere Wege der Verständigung gefunden sondern auch zusätzliche Varianten der Erreichung des universellen Friedens erzielt werden. Wir hegen Zweifel aufgrund der Widersprüchlichkeit dieser Welt und ihrer vehementen Ausrichtung nach Profit und Gewalt. Wir hoffen auf die Vernunft und auf die Resonanz der Ideen eines friedlichen Zusammenlebens dank Bildung und Aufklärung bei der Mehrheit der Bevölkerung dieses Planeten.

***

Wie versprochen werden wir noch zwei Fragen beantworten, die uns etwas zur Geisteshaltung Europas und Asiens aussagen.

Wir fragen für Europa:                                                                Weshalb hat Gott nur sieben Tage für die Erschaffung der Welt aufgewandt? Warum hat er sich nicht 30 Tage Zeit gelassen, vieles hätte doch perfekter und harmonischer gelöst werden können?
Wir werden diese Frage nicht beantworten. Immer noch zählen solche Gedanken zu denen der kirchlich gebrandmarkten Ketzerei. In Vielem haben wir die Freiheit der Aufklärung, des aufgeklärten Denkens, noch nicht erreicht.

Wir fragen für Asien:                                                                    Was müssen wir tun, damit der kleine Wassertropfen nicht austrocknet?
Wir geben den kleinen Wassertropfen zurück ins Meer.[39]



Fotos von Brunei-Darussalam (2009) (c) Hans Koch

[1] Wir nennen bewusst und vorsichtshalber unseren kleinen Vortrag einen Versuch. Wir wissen nicht, ob am Ende des Vortrages unsere kritischen Zuhörer oder wir selbst zufrieden sein werden oder ob der Eindruck zurückbleiben wird, dass zwar vieles gesagt jedoch wenig an Erkenntnis gewonnen wurde. Bei einem Versuch dürfen und können wir durchschaubar bleiben, weil wir nicht ständig im Bereich der wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Begriffe verweilen müssen und uns vorab für Missverständnisse bei unseren geschätzten Zuhörern entschuldigen können. Gleichfalls entschuldigend möchten wir vorausschicken, dass wir eine Reihe von Thesen und Hypothesen aufstellen werden und uns damit in das gefährliche Gebiet der Polemik und auch der unvorhersehbaren Irrtümer wagen.

[2] Robert Spaemann. Europa - Wertegemeinschaft oder Rechtsordnung? Transit - Europäische Revue, Nr. 21/2001

[3] Wie beispielsweise: Eun-Jeung Lee. „Asien“ und seine „asiatischen Werte“. Politik und Zeitgeschichte B 35-36/2003
[4] Europa als Wertegemeinschaft. www.bundesregierung.de (Oktober 2009)
[5] Immanuel Kant. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Berlinische Monatsschrift, Bd. 4, 1784, S. 481–494

[6] Zitiert nach: Die Welt der Encyclopédie. Ediert von Anette Selg & Rainer Wieland. Die Andere Bibliothek. Herausgegeben von Hans  
     Magnus Enzensberger. Eichborn. Frankfurt am Main 2001, S. 259
[7] Volker Mueller. Neues Denken – oder Eine zweite Aufklärung für Geistesfreiheit und Menschenrechte. IBKA (Internationaler Bund der
   Konfessionslosen und Atheisten) e.V., o. J.
[8] Tagungsbericht Zukunft braucht Konservative - Europa als Wertegemeinschaft?! David von Blohn. Expertentagung der Hanns-Seidel-
     Stiftung am 11. März 2009 in der Vertretung des Freistaates Bayern beim Bund in Berlin

[9] Goedart Palm. Welche Werte brauchen wir? TELEPOLIS 03.04.2006

[10] Goedart Palm. Welche Werte brauchen wir? TELEPOLIS 03.04.2006
[11] Hamburger Rechtswissenschaftler Prof. Norman Paech, zitiert nach Ossietzky Zweiwochenzeitschrift für 
   Politik / Kultur / Wirtschaft. 3/2002
[12] Hamburger Rechtswissenschaftler Prof. Norman Paech, zitiert nach Ossietzky Zweiwochenzeitschrift für 
   Politik / Kultur / Wirtschaft. 3/2002

[13] Quelle: hpd humanistischer pressedienst  26. Februar 2007 Nr. 1252, Persönliche und Europäische Werte (Herbstumfrage 2006 des 
   Eurobarometers)
[14] Eugen Drewermann. Krieg ist Krankheit, keine Lösung. Herder. Freiburg im Breisgau 2002
[15]  Vgl. Claus Kreß. Da gilt Kriegsrecht. In: Der Spiegel  40/2009, S. 26
[16] UN-Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948
[17] Eberhard Schneider. Europäische Werte und russische Gesellschaft. Beitrag auf dem II Europe – Russia Forum am 24. März 2006 in
     Vilnius. FG 5 2006/05, Mai 2006. Diskussionspapier. Forschungsgruppe Rußland/GUS. Stiftung Wissenschaft und Politik. Deutsches  
     Institut für Internationale Politik und Sicherheit
[18]  Die Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über die Würde, die Freiheit und die Menschenrechte . Rudolf Uertz/ Lars
     Peter Schmidt. Hrsg. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., ISBN 978-3-940955-35-7. 11.12.2008 Auslandsbüro Moskau der Konrad-Adenauer-
     Stiftung

     Von der offiziellen Website des Moskauer Patriarchats der Russischen Orthodoxen (Rechtgläubigen) Kirche hierzu:
    

Права человека не могут быть выше ценностей духовного мира. Христианин ставит свою веру в Бога и свое общение с Ним выше собственной земной жизни. Поэтому недопустимым и опасным является истолкование прав человека как высшего и универсального основания общественной жизни, которому должны подчиняться религиозные взгляды и практика. Никакими ссылками на свободу слова и творчества нельзя оправдать надругательство в публичной сфере над предметами, символами или понятиями, которые почитаются верующими людьми.
Не являясь Божественным установлением, права человека не должны вступать в конфликт с Откровением Божиим. Для большей части христианского мира наряду с идеей личной свободы не менее важна категория вероучительной и нравственной традиции, с которой человек должен согласовывать свою свободу. Для многих людей, живущих в разных странах мира, не столько секуляризованные стандарты прав человека, сколько вероучение и традиции обладают высшим авторитетом в общественной жизни и межличностных отношениях.
Никакие человеческие установления, в том числе формы и механизмы общественно-политического устройства, не могут сами по себе сделать жизнь людей более нравственной и совершенной, искоренить зло и страдания. Важно помнить, что государственные и общественные силы имеют реальную способность и призвание пресекать зло в его социальных проявлениях, но они не могут одержать победу над его причиной – греховностью. Сущностная борьба со злом ведется в глубине человеческого духа и может иметь успех лишь на путях религиозной жизни личности: «Наша брань не против крови и плоти, но против начальств, против властей, против мироправителей тьмы века сего, против духов злобы поднебесных» (Еф. 6, 12).

[19] Jutta Scherrer. Russland den Russen. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. Juli 2000
[20] Jutta Scherrer. Russland den Russen. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. Juli 2000
[21] Frank-Walter Steinmeier. Vorausschauende Außenpolitik. Gemeinsam globale Probleme lösen. Plädoyer für eine aktive Partnerschaft
     zwischen Asien und Europa. In: IP. November 2007. S. 17-21
[22] Karl Pilny. Die Renaissance des Konfuzianismus. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. April 2006
[23] Zitiert nach: Jung Chang, Jon Halliday. Mao. Das Leben eines Mannes. Das Schicksal eines Volkes. 2. Aufl. 2005, Karl Blessing Verlag
     München, S. 536
[24]  Der ehemalige Botschafter der VR China in Deutschland, Mei Zhaorong, auf der Frankfurter Buchmesse, zitiert nach FAZ, Montag, 14.
    September 2009, Nr. 213, Seite 29
[25] Vergl. UN-Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948
[26] Gebrochene Versprechen, ungebrochene Entschlossenheit. Vorwort zum Jahresbericht 2008 von Amnesty International (zum 60.
      Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) Basel, 27.11.2008
[27] Volker Mueller. Neues Denken – oder Eine zweite Aufklärung für Geistesfreiheit und Menschenrechte. IBKA (Internationaler Bund der
     Konfessionslosen und Atheisten) e.V., o. J.

[28] Rainer Rothe. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Geschichte des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
     www.wanke-rothe.de

[29] Graf Hermann Keyserling. Das Reisetagebuch eines Philosophen. Otto Reichl Verlag Darmstadt 7. Auflage 1923 Bd. II S. 674 f.

[30] Graf Hermann Keyserling. Das Reisetagebuch eines Philosophen. Otto Reichl Verlag Darmstadt 7. Auflage 1923 Bd. II S. 674 f.
[31] „Mishima Yukios „Taiyo to tetsu““. Hausarbeit zum Proseminar im SS 1994. Thema: Japanische Literaturgeschichte. Leitung von: Prof.
      Dr. Pantzer. Vorgelegt von: Marko Matijević. Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität Bonn, 01.10.1994

[32]  Botschaft von Japan. Neues aus Japan Nr. 40. März 2008. Asiens Beitrag zur internationalen Stabilität. Vortrag von Außenminister 
      Masahiko Koumura auf der 44. Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik am 10.02.2008
[33]  Toshiko, Ito (2005). Das Herz als Hoffnung - Moralerziehung im heutigen Japan. Die Deutsche Schule. Zeitschrift für
      Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis. S. 186-196. Zitiert nach: Pädagogische Fachzeitschriften 2006. Werner  
      Stangl. Johannes Kepler Universität Linz
[34] 16. Gipfeltreffen EU-Japan. Berlin, 5. Juni 2007. Gemeinsame Presseerklärung
[35] Vergl. Jyoti Chakma. Asiatische Werte kontra westliches Menschenrechtsverständnis –  Wie universell sind die universellen
     Menschenrechte? Ein Wochenendseminar der Anti-Rassismus-Gruppe des Hendrik-Kraemer-Hauses.  11.–13. Oktober 2002. Berlin
[36] Außenpolitik IV/1996, S. 326-328. Gerd Langguth. Beginnt das „Pazifische Jahrhundert“?
[37] Zitiert nach: Karl-Heinz Pohl. Chinesische und asiatische Werte – Die chinesische Welt als zentraler Kultur- und Wirtschaftsraum  
    Ostasiens. Trier o.J.
[38] Damit kommen wir in die Nähe von: Rudolf Kuhr. Humanistisches Werte-System. Versuch zu einer Neu-Orientierung.
     www.humanistische-aktion.de, ohne uns seinen religiösen Zugang zu eigen machen zu wollen.
[39] Frei zitiert nach: Samsara. Geist und Leidenschaft. Buch: Pan Palin, Tim Baker. Regie: Pan Palin. Pandora Film 2001